Allgemeine Überlegungen zur Pharmakotherapie
Das klinische Bild von Angststörungen ist sehr unterschiedlich. Allerdings ist allen Krankheitsformen eines gemeinsam: Sie zermürben den Patienten und schränken ihn in seinem psycho-sozialen Aktionsradius erheblich ein. Bei starker Beeinträchtigung ist eine medikamentöse Therapie indiziert. Hierfür steht eine Reihe von Substanzen zur Verfügung, die von der Therapie der Depression bekannt sind. Aufgrund der guten Wirksamkeit, des günstigen Nebenwirkungsprofils und der Sicherheit sind mehrere SSRIs als First-Line-Therapeutika für die Behandlung der meisten Krankheitsformen anzusehen. Aber auch den dual wirkenden Medikamenten (SNRI) kommt wesentliche Bedeutung zu. Leider ist die Studienlage hinsichtlich einer medikamentösen Langzeitbehandlung nicht gerade überwältigend. Trotzdem wird derzeit eine Therapiedauer von mindestens 9–12 Monaten empfohlen, da diese Zeitspanne nötig ist, um den verabreichten Medikamenten die gewünschte Wirkung auf Neurogenese und Synaptogenese in den für die Angstver-arbeitung relevanten Hirnstrukturen zu ermöglichen.
Sozialphobie
„Diese Mindesttherapiedauer gilt auch bei der Sozialphobie“, betonte Univ.-Prof. Dr. B. Bandelow, Universität Göttingen, Deutschland. Mit einer Lebenszeitprävalenz von rund 13% sei die Sozialphobie die häufigste aller Angsterkrankungen und nach Depression und Alkoholsucht die dritthäufigste psychiatrische Erkrankung. Sie beginnt typischerweise im Jugendalter mit einem Krankheitsgipfel im 15. Lebensjahr. Zu Krankheitsbeginn bleibt sie meist unerkannt und unbehandelt, da die Übergänge zwischen „nor-maler“ Schüchternheit und Sozialphobie fließend sind. Krankheitswert und Therapiebedürftigkeit sind abhängig vom individuellen Leidensdruck. Dieser nimmt nicht selten kontinuierlich zu, wobei die Betroffenen oft versuchen, sich durch Alkohol Erleichterung zu verschaffen. Therapie der Wahl bei Sozialphobie sind laut Bandelow SSRIs, Venla-faxin und Moclobemid. Widersprüchliche Daten liefern MAO-Hemmer (Phenelzin) und Benzodiazepine (Clonazepam). Definitiv ineffektiv sind Betablocker, welche aufgrund ihrer Wirksamkeit bei generalisierter Angst fälschlicherweise auch bei Sozialphobie eingesetzt werden. Auch Trizyklika (Imipramin), 5HT1A-Agonisten (z.B. Buspiron) und Antikonvulsiva (Levetiracetam) zeigen keine Wirkung. Erste erfolgversprechende Daten liefern die Kalziumkanalmodulatoren Gabapentin und Pregabalin, Mirtazapin (NaSSA) und NK-1-Antagonisten. Langzeitstudien gibt es für SSRIs (Sertralin, Paroxetin, Fluvoxamin und Escitalopram), Venlafaxin, Moclobemid und Phenelzin. Auch verhaltenstherapeutische Maßnahmen inklusive Expositionsstrategien erwiesen sich in Studien als wirksam. Die Datenlage für die Kombination Verhaltenstherapie plus Pharmakotherapie ist hingegen nicht überzeugend.
Zwangserkrankungen
„Ähnlich wie Sozialphobien nehmen auch Zwangserkrankungen unbehandelt meist einen chronischen Verlauf“, berichtete Prof. Dr. N. Fineberg, Herts, UK. „Dabei fluktuieren die Symptome hinsichtlich ihrer Schwere zwar oft stark, verschwinden aber nicht gänzlich.“ Medikamentöse Hilfe ist möglich, wobei es positive Daten aus Kurzzeitstudien vor allem für SSRIs gibt. In Kombination damit sind mög-licherweise auch Antipsychotika wirksam. Als ineffektiv haben sich Trizyklika (Ausnahme: Clomipramin), MAO-Hemmer, Lithium, Benzodiazepine und Buspiron erwiesen.
Die Datenlage zur Langzeittherapie ist laut Fineberg ziemlich limitiert. Positive Ergebnisse gibt es aus Studien mit Clomipramin, Fluoxetin und Sertralin. Darin wurden Responder über 12 Monate weiterbehandelt, mit Erfolg und ohne jeden Hinweis auf Toleranzentwicklung. Umgekehrt zeigen fast alle Studien, bei denen die Patienten nach Akutbehandlung auf Placebo umgestellt wurden, ein Wiederauftreten der Zwangssymptome. Auch die Mehrheit der Relaps-Präventions-Studien belegt den Benefit einer längerfristigen Behandlung, so auch eine Studie mit Escitalopram an 320 Patienten. Nach einer placebokontrollierten Behandlung über 24 Wochen wurden Therapieres-ponder offen mit Escitalopram weiter-behandelt (16 Wochen). Die Relapsraten betrugen 52% vs. 24% zugunsten von Escitalopram, entsprechend einem hochsignifikanten Unterschied. Auch für Fluoxetin (60mg) und Paroxetin gibt es positive Ergebnisse aus Relaps-Präven-tions-Studien, wobei laut Fineberg in Zusammenschau aller Daten der Eindruck entsteht, dass bei Zwangserkrankungen höhere SSRI-Dosen nötig sein könnten als bei anderen Indikationen.
Generalisierte Angststörung
Als besonders große therapeutische Herauforderungen betrachtet Prof. Dr. M. Van Ameringen, Hamilton, Ontario, Kanada, Patienten mit generalisierter Angster-krankung (GAD). Seinen Ausführungen zufolge ist die GAD dadurch charakterisiert, dass die Betroffenen ständig von Furcht und Sorgen gequält werden, wobei die Symptome im Gegensatz zur Panikstörung nicht anfallsartig auftreten, sondern dauernd vorhanden sind. Mit einer Lebenszeitprävalenz von knapp 6% ist die GAD häufig, der Altersgipfel liegt bei 50 Jahren, Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer. Zum Spontanverlauf gibt es nur wenige Daten. Laut einer Beobachtungsstudie von Bruce et al (2005) ist jedoch von niedrigen Remis-sionsraten auszugehen. Van Ameringen: „Nur 40% haben eine Teilremission im Beobachtungszeitraum von fünf Jahren. In vielen Fällen besteht zusätzlich eine Depression, eine Agoraphobie oder Substanzmissbrauch, wobei die Komorbidität die Chance auf Heilung weiter vermindert.“ Aufgrund des chronischen Verlaufs ist eine Langzeittherapie anzustreben. Positive Ergebnisse gibt es für Escitalo-pram und Paroxetin. Wirksam sind auch Venlafaxin, Duloxetin sowie Pregabalin.
Laut Prof. Dr. D. V. Sheehan, Tampa, FL, USA, kann es bei schweren Fällen sehr lange bis zu einer Remission dauern. Als besonders attraktive Therapieoption sieht Sheehan den dualen Wiederaufnahme-Hemmer Duloxetin an, da mit dieser Substanz erstmals der Beweis erbracht wurde, dass das Medikament nicht nur die Beschwerden bessert, sondern auch zu einer signifikanten Besserung der funktionellen Einschränkungen im privaten und beruflichen Alltag führt. Bezüglich der Datenlage für nicht medikamentöse Maßnahmen verwies Sheehan darauf, dass direkte Vergleichsstudien Pharmakotherapie versus Verhaltenstherapie nicht verfügbar seien. Der Benefit einer kombinierten Anwendung versus Verhaltenstherapie oder Pharmakotherapie alleinsei derzeit unklar.