Di. Mrz 19th, 2024

Soziale Phobie

Soziale Phobien (oder soziale Angststörungen) gehören zu den phobischen Störungen (Angststörungen) und werden im ICD-10 unter F40.1 klassifiziert. Das zentrale Merkmal sind ausgeprägte Ängste, in sozialen Situationen im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen und sich peinlich oder beschämend zu verhalten.

Erscheinungsformen
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Menschen mit sozialer Phobie meiden gesellschaftliche Zusammenkünfte, da sie fürchten, Erwartungen anderer nicht zu erfüllen und auf Ablehnung stoßen zu können. Sie fürchten, dass ihnen ihre Nervosität oder Angst angesehen werden könnte, was ihre Angst oftmals noch weiter verstärkt. Begleitet wird die Angst oft von körperlichen Symptomen, wie zum Beispiel Erröten (siehe auch „Angst vor dem Erröten“ – Erythrophobie), Zittern, Herzrasen, Schwitzen, Atemnot, Verkrampfung, Sprechhemmung und häufigen Versprechern, Schwindelgefühlen, Beklemmungsgefühlen in der Brust, Kopf- und Magenschmerzen, Durchfall, Übelkeit (Würgereiz) oder Panik, sowie von kognitiven Symptomen, wie z. B. Gedankenkreisen, Derealisation und Depersonalisation.

Isolation

Um all das zu vermeiden, gehen Menschen mit sozialen Ängsten Situationen, in denen sie der Bewertung durch andere ausgesetzt sind, oft von vornherein aus dem Weg. Dies kann ein berufliches und privates Weiterkommen sehr erschweren und mitunter zu vollkommener sozialer Isolation führen. Die Störung kann über einen langen Zeitraum anhalten, zudem erkranken viele Betroffene noch zusätzlich an einer Depression oder werden abhängig von Alkohol, Beruhigungsmitteln oder anderen Drogen oder Medikamenten, welche die Symptome überdecken oder verdrängen können.

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Soziale Phobien beginnen meist in Kindheit und Pubertät. In bestimmtem Rahmen gelten sie noch als normal. Die Diagnose sollte erst gestellt werden, wenn ungewöhnlich starke Ängste zu einem verhängnisvollen Vermeidungsverhalten in entsprechenden Situationen führen.

Nach Schätzungen leiden zwischen zwei bis zehn Prozent der Bevölkerung unter sozialen Ängsten. Exakte Angaben sind schwierig, da sich soziale Phobien in ihrem Schweregrad stark unterscheiden können und insbesondere der Übergang von Schüchternheit zur sozialen Phobie schwer zu bestimmen ist. Soziale Angst darf zudem nicht mit sozialen Defiziten verwechselt werden, obwohl die soziale Phobie aus sozialen Defiziten entstehen kann (oder auch erst zu diesen führen kann). Eine Repräsentativstudie mit rund 4100 Teilnehmern aus der deutschen Allgemeinbevölkerung im Alter von 18 bis 65 Jahren ermittelte anhand eines standardisierten diagnostischen Interviews eine 12-Monats-Prävalenz von 2%.

Über die gesamte Lebenszeit waren laut US-amerikanischen Studien 11 Prozent der Männer und etwa 15 Prozent der Frauen von einer sozialen Phobie betroffen.

Eng umschriebene Sozialphobien, zum Beispiel nur Furcht vor öffentlichem Sprechen und Essen, sind eher selten. Am häufigsten ist die allgemeine Sozialphobie vor den meisten Aktivitäten im zwischenmenschlichen Bereich, wie an Partys oder Familienfesten teilzunehmen, anderen zu schreiben, neue Kontakte zu knüpfen (insbesondere zu Menschen eines begehrten Geschlechts) oder eine Unterhaltung mit dem Chef, den Kollegen, den Nachbarn und selbst mit Nahestehenden zu führen.

Diagnose
Im ICD 10 wird die phobische Störung unter dem Code F40.1 klassifiziert.

Die Störung zeichnet sich demnach durch folgende Merkmale aus:

Diese Störungen zentrieren sich um die Furcht vor prüfender Betrachtung durch andere Menschen in verhältnismäßig kleinen Gruppen (nicht dagegen in Menschenmengen).
Die Angst ist auf bestimmte soziale Situationen beschränkt oder überwiegt in solchen Situationen.
Die phobischen Situationen werden vermieden.
Der Beginn liegt häufig im Jugendalter.
Leitsymptome sind:

Zentral ist die Furcht vor prüfender Betrachtung in überschaubaren Gruppen (siehe auch Spotlight-Effekt).
Die Angst kann sich auf bestimmte Situationen wie Essen oder Sprechen in der Öffentlichkeit oder Treffen mit Menschen eines begehrten Geschlechts beschränken; sie kann aber auch unbestimmt sein und in fast allen sozialen Situationen außerhalb der Familie auftreten.
Häufig bestehen niedriges Selbstwertgefühl und Furcht vor Kritik.
Als Begleitphänomene können Erröten, Vermeiden von Blickkontakt, Schwitzen, Zittern, Herzrasen, Durchfall, Übelkeit oder Drang zum Wasserlassen auftreten.
Die Symptomatik kann sich bis zu Panikattacken verstärken.
Ausgeprägtes Vermeidungsverhalten kann zu vollständiger sozialer Isolation führen.

Komorbidität (Begleiterkrankungen)
Alle Angststörungen zeichnen sich durch eine hohe Komorbidität untereinander aus. Mehr als die Hälfte der Menschen mit sozialer Phobie leidet zu irgendeinem Zeitpunkt ihres Lebens zusätzlich an einer anderen oder mehreren anderen Angststörungen. Auch die seltene und noch weitgehend unbekannte Kommunikationsstörung Mutismus kann in Begleitung der Sozialphobie auftreten. Häufig sind auch Depressionen in Verbindung mit Angsterkrankungen. Etwa ein Drittel missbraucht Alkohol. Sehr oft ist ebenfalls die Kombination von sozialer Phobie und ADHS zu beobachten (insbesondere beim unaufmerksamen Subtyp mit Sluggish cognitive tempo).

Ursachen
Verhaltenstherapeutische Theorien
Lerntheoretische Theorien sehen soziale Ängste durch Vermeidungskonditionierung bedingt. Dabei wirkt das Vermeiden einer angstauslösenden Situation angstmindernd. Wird in sozialen Situationen Angst verspürt, wird diese Situation weitgehend vermieden. Auch Prozesse des Modelllernens können für die soziale Phobie verantwortlich sein. Beobachtungslernen, also das Beobachten von phobischen Reaktionen, kann selbst angstauslösend sein.

Vermeidung wird bei phobischen Störungen als Ursache für die Aufrechterhaltung der Störung gesehen, weil keine korrigierende Erfahrung gesammelt werden kann und damit keine Gewöhnung (Habituation) erfolgt. Da soziale Situationen aber nicht durchgängig vermieden werden können, gehen Clark und Wells (1995) in ihrem kognitiven Modell von drei Faktoren aus, die sie für die Aufrechterhaltung der sozialen Phobie verantwortlich machen:
– stärkere Selbstaufmerksamkeit
– Sicherheitsverhalten
-andere Verarbeitungsprozesse vor, während und nach der sozialen  Situation
Kognitionspsychologische Theorien fokussieren dabei vor allem auf die Rolle, welche Ängste Einfluss auf die Verarbeitung von Informationen haben. Dabei sehen sich Menschen mit sozialen Ängsten meist negativer und machen sich mehr Sorgen. Die Sozialkontakte werden so negativer wahrgenommen, als sie sind.

In diesem Zusammenhang wird allerdings auch immer eine physiologische Bereitschaft zur Entwicklung bestimmter Ängste angeführt. So ist es anscheinend möglich, dass Angst vor bestimmten Objekten und Situationen leichter erlernt wird. Hinzu kommt auch eine mögliche angeborene oder erworbene Disposition, Ängste zu entwickeln. Häufig sind sowohl negative Erfahrungen mit bestimmten Objekten und Situationen als auch eine genetische Disposition (s. u.) verantwortlich.

Psychodynamische Theorien
Die Psychoanalyse geht davon aus, dass unterschiedliche Bedingungen die Entwicklung von Angst fördern. Sie sagt aus, dass Angst eine Reaktion des Ichs auf eine drohende Gefahr ist. Sowohl traumatische Erlebnisse als auch verdrängte psychische Inhalte können eine Angstreaktion des Ichs auslösen. Aber auch bindungstheoretische Gesichtspunkte werden in den zeitgemäßen Theorien einbezogen. Hier ist vor allem die Trennungsangst von entscheidender Bedeutung. Auch das Abwehr-Sicherheits-Modell wird als Erklärungsmodell herangezogen. In der Psychoanalyse wird zwischen unterschiedlichen Angstarten unterschieden. Je nach zu unterscheidender psychoanalytischer Theorie werden die Gründe für die Angst in unterschiedlichen Ursachen gesehen.

Eine besondere Bedeutung wird der Schamangst im Zusammenhang mit der sozialen Phobie zugeschrieben. Sie beschreibt eine drohende Gefahr, bloßgestellt zu werden oder vor Demütigung und Zurückweisung. Dabei dient sie gleichzeitig der Abwehr vor grandiosen und exhibitionistischen Wünschen, in den Augen von Anderen besonders gut dazustehen und sich als besonderer Mensch zeigen zu können. Diese Wünsche werden abgewehrt, in dem eine tatsächliche Angst vor der sozialen Situation entsteht, und diese vermieden wird. Ein Defizit im Selbstkonzept führt dabei zu Überkompensationen. Der Schamaffekt ist aber auch im Zusammenhang mit überwältigenden traumatischen Erfahrungen von Hilflosigkeit und konkreten Beschämungen zu betrachten. Die Schamangst kann aber, in einem anderen Zusammenhang, als konkrete Signalangst verstanden werden, die vor Zurückweisung schützen soll.

Genetische Ursachen:

Zwillingstudien (Studien mit eineiigen Zwillingen, die getrennt voneinander aufwuchsen) lassen vermuten, dass eine genetische Disposition mit ursächlich ist. Erkrankt ein Zwilling an einer sozialen Phobie, erkrankt der andere mit 30–50-prozentiger Wahrscheinlichkeit ebenfalls daran.[15] Es hängt vermutlich von Umwelteinflüssen ab, ob die Veranlagung sich manifestiert. Seit 2013 erforschen Wissenschaftler der Universitätsklinik Bonn die (genetischen) Ursachen der sozialen Phobie.

Kulturelle Unterschiede
In ostasiatischen Kulturen würde häufiger eine altruistische Variante beobachtet, die begleitet wird von der Befürchtung, dass „das eigene Erscheinungsbild, der Gesichtsausdruck oder die natürlichen Bewegungsablaufe oder etwa auch der Körpergeruch, der Augenkontakt oder das Erröten eine andere Person unangenehm berühren“, während in westlichen Lädern eher eine egozentrische Variante dominiere, begleitet von der Befürchtung „sich zu blamieren oder beschämt zu werden.“

Behandlung
Psychotherapie
Mit Hilfe der Kognitiven Verhaltenstherapie können Betroffene lernen, durch Verhaltensexperimente, ihre negativen Bewertungen zu überprüfen und durch angemessene Bewertungen zu ersetzen. Im Behandlungsmodell von Clark und Wells (1995) geht es dabei eher um eine Veränderung von antizipatorischer und nachträglicher Verarbeitung und die Veränderung negativer Grundüberzeugungen und weniger um eine Habituation. Gleichzeitig lernen sie, ein Risiko einzugehen und mögliche Fehler und Ablehnung zu ertragen. Sie lernen, ihren Perfektionsanspruch aufzugeben, sich zu akzeptieren und sich unabhängiger von der Meinung anderer zu machen. Unterstützend zu einer Therapie gelten körperliche Aktivität sowie Entspannungsübungen (bspw. Progressive Muskelentspannung, Autogenes Training) als angstlindernd. Die Wirksamkeit wurde sowohl in Kombination, als auch ohne medikamentöse Therapie, nachgewiesen. Soziale Kompetenzen können zusätzlich in einem Training sozialer Kompetenzen verfestigt werden.

In der psychoanalytischen Behandlung wird versucht, zugrundeliegende psychische Konflikte zu bearbeiten, welche die Angst auslösen sollen. Auch eine eventuell auftretende Schwäche des Strukturniveaus kann Ziel einer Behandlung sein. Sven Olaf Hoffmann kritisierte, dass soziale Ängste bisher in der Psychoanalyse unterschätzt wurden, und dementsprechend kaum therapeutische Modelle vorliegen. Hoffmann entwickelte daher eine spezielle, manualisierte psychodynamische Therapie für Soziale Phobien.

Auch kann die Teilnahme an Selbsthilfegruppen, die sich des Problems der sozialen Phobie angenommen haben, nützlich sein.

Medikamentöse Behandlung
Am häufigsten kommen SSRI zum Einsatz: Für Sertralin, Fluoxetin und Citalopram konnte eine mögliche Wirksamkeit gezeigt werden. In Deutschland sind die Antidepressiva Moclobemid, Escitalopram, Paroxetin, Sertralin und Venlafaxin zur Behandlung der sozialen Phobie zugelassen. Dabei gelten die SSRI und Venlafaxin als 1. Wahl.

Mirtazapin zeigte sich in einer sechswöchigen Studie ähnlich wirksam wie Paroxetin. Besonders stark scheint die Minderung der Symptome bei Frauen zu sein.

Für besonders belastende Situationen haben sich angstlösende Medikamente aus der Benzodiazepin-Familie wie Alprazolam oder Lorazepam als wirksam erwiesen. Benzodiazepine bergen jedoch immer die Gefahr des Missbrauchs (siehe dazu auch: Missbrauch von Benzodiazepinen). Die Behandlungsdauer mit Benzodiazepinen ist wegen der Gefahr einer Abhängigkeitsentwicklung so kurz wie möglich zu wählen. Im Fall einer Langzeittherapie sollte regelmäßig die Notwendigkeit einer Weiterführung der Behandlung abgeklärt werden.

Quelle: Wikipedia

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