Eine soziale Phobie kann grundsätzlich jeden treffen. Gefährdeter sind aber etwa Kinder, die in „Watte gepackt“ wurden oder aber traumatische Erfahrungen durchmachen mussten.
Wer die soziale Phobie verstehen will, muss die engen biologischen, psychologischen und biografischen Verflechtungen entwirren.
Wie so oft entsteht das Gewirr auch in diesem Fall in der Kindheit. Psychologen warnen deshalb davor, seelische Probleme bei Kindern und Jugendlichen leichtfertig auf die Entwicklung und Pubertät zurückzuführen und nicht ernst zu nehmen. So können
– eine überbehütete Kindheit
– eine an liebevoller Zuwendung, Wertschätzung und Unterstützung fehlende Erziehung
– traumatische Erfahrungen (körperliche, psychische Misshandlungen)
– ein Erziehungsstil, der selbstsicheres und unabhängiges Verhalten wenig fördert
– Eltern, die Sozialkontakte mit anderen Familien wenig unterstützten, die übermäßigen Wert auf die Meinung anderer legten und eher Scham als Disziplinierungsmethode einsetzen
– in der Erziehung (Eltern, Kindergarten, Schule) erzeugte Schuldgefühle als Disziplinierungsmethode bei Abweichungen von allgemeingültigen Normen
früh wichtige Hirnareale verändern. Die entstehenden biologischen Narben prägen die Persönlichkeit. Experten sprechen von erhöhter Angstbereitschaft beziehungsweise Vulnerabilität (Verletzlichkeit) gegenüber sozialen Situationen, die als bedrohlich erlebt werden. Die Anfälligkeit allein führt aber nicht zwingend in die Erkrankung. Für Menschen ist es extrem wichtig, in eine soziale Gemeinschaft integriert zu sein und dabei auch ein gewisses Maß an sozialer Kontrolle ausüben zu können. Zu Angst und Unterwürfigkeit kommt es besonders dann, wenn Stress-Situationen, zum Beispiel belastende Lebensbedingungen oder schmerzliche Ereignisse, als unkontrollierbar erlebt werden. Man spricht deshalb vom Vulnerabilitäts-Stress-Modell. Dieses Modell integriert verschiedene derzeit gültige Erklärungsmodelle, die bei jeder Angststörung wichtig sind.
Werden Grenzen gesprengt, brechen Narben auf
Wer im Verlauf seiner Entwicklung immer wieder Derartiges verkraften muss, stößt früher oder später an seine Grenzen (Heranwachsende haben grundsätzlich weniger Möglichkeiten, Belastungen seelisch abzuwehren und zu bewältigen). Mehr noch: Werden diese gesprengt, brechen die Narben auf. Es reicht der berühmte Tropfen, und das Fass läuft über.
Massiver innerer Stress (zum Beispiel Veränderungen im Gleichgewicht der Botenstoffe des Gehirns, vermutlich besonders im System der Botenstoffe Serotonin und Dopamin) führen dann im Zusammenspiel mit Stress von außen (zum Beispiel Trennungen, Verlusten, Erschöpfung) in eine überwältigende Angstreaktion. Diese erzeugt wiederum Angst, es kommt die Angst vor der Angst hinzu. Wer künftig Vermeidung und Flucht als einzige Auswege sieht, verhindert, dass er neue und positive Erfahrungen sammeln kann.
Ein Teufelskreis spielt sich ein, wenn die gesamte Aufmerksamkeit auf die Angst erzeugenden Umstände gerichtet ist und die Spannung aufgrund der ängstlichen Erwartung steigt. Sozialphobiker zeigen bereits in Erwartung einer Situation starke Angst – also schon, wenn der Termin für eine Rede festgelegt wird oder auf dem Weg ins Restaurant. Der Körper unterscheidet dabei nicht, ob es sich um eine wirklich existierende Gefahr handelt oder um Erwartungsangst. Er aktiviert das Alarmprogramm bereits beim bloßen Gedanken an die Situation.
Nach Ansicht des amerikanischen Professors für Psychiatrie, Aaron T. Beck, einem der Pioniere auf dem Gebiet der kognitiven Verhaltenstherapie (Die Verhaltenstherapie versucht, Verhalten als erlernte Reaktion umzuprogrammieren. Bei der kognitiven Verhaltenstherapie werden kognitive Elemente wie Gedanken, Wahrnehmungen und innere Einstellungen miteinbezogen.) und Depression, entstehen Sozialphobien bei Menschen, die sich übermäßig mit sich selbst beschäftigen. Aus Angst vor Misserfolg in sozialen Situationen und vor daraus resultierender Kritik werden potenzielle Gefahren übermäßig beachtet und dadurch überbewertet. Abnehmendes Selbstvertrauen und verzerrte Selbstbewertung führen schließlich in ein Vermeidungsverhalten. Dieses reduziert kurzfristig die Angst, langfristig wird sie jedoch durch fehlende andersartige Erfahrungen aufrecht erhalten.
Bei starker Selbstunsicherheit treten zahlreiche negative und abwertende Gedanken über die eigene Person automatisch auf.
Quelle: lifeline.de