Mo. Nov 4th, 2024

    Stimmungaufhellendes Anxiolytikum Opipramol bei Angst- und Somatisierungsstörung  

    Die Substanz Opipramol hat seit ihrer Einführung vor mehr als 40 Jahren eine bemerkenswerte Entwicklung durchgemacht: Von vielen Klinikern zunächst als nicht ausreichend wirksam beurteilt, ist es heute das am meisten verordnete Psychoparmakon Deutschlands. Ursprünglich als Antidepressivum eingestuft, zeigte Opipramol in der Praxis das klinische Wirkprofil eines stimmungaufhellenden Anxiolytikums.

    Klinische Studien bestätigten die Wirksamkeit von Opipramol bei somatoformen Störungen und Generalisierter Angststörung und führten zur Zulassung in diesen Indikationen. Ein weiterer positiver Aspekt ist der günstige Einfluss von Opipramol auf Insomnien, die als unspezifisches Symptom bei Patienten mit Angst- und Somatisierungsstörungen noch vor Schmerz und anderen Symptomen genannt werden. Und auch pharmakologisch scheint der „Emanzipationsprozess“ noch lange nicht abgeschlossen: Ein neuer molekularer Mechanismus könnte in Zukunft die anxiolytische Wirkung von Opipramol erklären.

    Lange Zeit hatte man Opipramol aufgrund einer strukturellen Analogie und gewisser pharmakologischer Ähnlichkeiten zu den trizyklischen Antidepressiva gezählt, so Prof. Walter E. Müller, Frankfurt. Doch in der Praxis zeigte sich, dass Opipramol vor allem ein gut wirksames Anxiolytikum darstellt. Diese Erfahrungen bildeten den Anstoß für eine intensive wissenschaftliche Erforschung dieser Substanz.

    Pharmakologische Besonderheiten von Opipramol

    Opipramol hemmt nicht die neuronale Serotonin und/oder Noradrenalinaufnahme und zeigt damit nicht den primären antidepressiven Wirkmechanismus der Trizyklika. Auch an den Histamin H1, Muskarin-, alpha1- und 5HT2-Rezeptoren zeigt Opipramol im Gegensatz zu Amitriptylin nur mäßige Effekte. Dies sind zwei wesentliche Punkte, in denen sich Opipramol von den typischen Antidepressiva wie Imipramin und vor allem Amitritptylin unterscheidet, so Müller. Vorteil dieses Rezeptorprofils ist, dass Opipramol damit auch nicht die typischen anticholinergen Nebenwirkungen trizyklischer Antidepressiva aufweist.

    Ein weiterer wichtiger Unterschied hat in den letzten Jahren zunehmend an

    Bedeutung gewonnen: So ist Opipramol im Gegensatz zu Imipramin und Amitriptylin ein relativ starker Ligand für Sigma-Bindungsstellen mit nur geringer Selektivität (Sigma1 über Sigma2).

    Diese Eigenschaften aber tragen wesentlich zu seiner anxiolytischen Wirkung bei, wie tierexperimentelle Untersuchungen zeigen. Sigma-Liganden können zu spezifischen Veränderungen der intrazellulären Calcium-Homöostase führen. Dies sei von enormer Bedeutung, so Müller, da die freie Calciumkonzentration einen ganz wesentlichen intrazellulären Signalgeber darstelle, der über sehr viele extrazelluäre Signale sehr kompliziert reguliert werde. Möglicherweise ist Opipramol in der Lage, über eine Beeinflussung von Sigma-Bindungsstellen die Erregbarkeit von zentralen Neuronen über einen Eingriff in die intrazelluläre Calcium-Homöostase zu modulieren.

    „Über 40 Jahre nach Einführung von Opipramol stehen wir damit möglicherweise vor Befunden, die die anxiolytische Wirkung über einen vollständig neuen molekularen Mechanismus erklären können“, schloss Müller.

    Opipramol bei Generalisierter Angststörung

    Gemäß der Metaanalysen zu den älteren klinischen Doppelblindstudien besitzt Opipramol antidepressive und deutliche anxiolytische Effekte. Die guten Praxiserfahrungen mit Opipramol in der Behandlung generalisierter Angststörungen wurden in einer großen klinischen plazebokontrollierten Vergleichsstudie versus Alprazolam bestätigt. Die Ergebnisse einer radomisierten 3-Arm-Studie stellte Prof. Hans-Jürgen Möller, München, vor. 307 Patienten mit Generalisierter Angst wurden über vier Wochen entweder mit Plazebo, mit Opipramol (200 mg/Tag) oder mit dem etablierten Standard, dem Benzodiazepin Alprazolam (2 mg/Tag) behandelt. Gegenüber Plazebo zeigte sich eine signifikante Besserung des HAMA-Gesamtscores (Hamilton-Angstskala) und des Clinical Gobal Impression (CGI) unter Opipramol und Alprazolam. In Bezug auf die anxiolytische Wirksamkeit und den positiven Einfluss auf die Schlafqualität ergaben sich für Opipramol und Alprazolam keine Unterschiede. Allerdings zeigte sich bei Opipramol signifikant seltener Tagesmüdigkeit und ein tendenziell besserer Einfluss auf die GAS begleitenden depressiven Symptome, so Möller.

    Möller stellte auch die Ergebnisse einer anderen Arbeitsgruppe vor (Boerner et al., 2003), welche die Wirksamkeit eines hoch dosierten Kava-Kava-Präparates (400mg/Tag) versus Opipramol (100mg/Tag) und Buspiron (10mg/Tag) prüfte. Selbst in der geringen Dosierung von 100mg/Tag zeigten sich unter Opipramol die günstigsten Therapieergebnisse, so Möller.

    Opipramol bei somatoformen Störungen

    Eine zweite plazebokontrollierte Studie überprüfte die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Opipramol bei Patienten mit somatoformen Störungen. Die von Prof. Dr. Hans-Peter Volz aus Werneck präsentierten Daten der Sechs-Wochen-Studie zeigen eine statistisch signifikante Überlegenheit von Opipramol (200 mg/Tag) gegenüber Plazebo. Es wurde das gleiche Instrumentarium verwendet wie in der klinischen Prüfung bei Generalisierten Angststörungen, Hauptparameter war der Summenwert der somatischen Symptome der HAMA. Bei der Studie handelt es sich um die erste adäquat kontrollierte klinische Untersuchung zur Wirksamkeit einer Substanz bei somatoformen Störungen. Die Ergebnisse dieser klinischen Studie wurden in drei Anwendungsbeobachtungen mit insgesamt 3.582 Patienten bestätigt. Wirksamkeit und Verträglichkeit der Behandlung mit Opipramol (zumeist 100 bzw. 150 mg/Tag) erwiesen sich als so gut, dass in 85% der Fälle die Behandlung über den Beobachtungsverlauf hinaus fortgesetzt wurde.

    Insomnie: häufiges Syptom bei somatoformen Störungen

    In allen Anwendungsbeobachtungen zeigte sich, dass das unspezifische Symptom Insomnie am häufigsten genannt wurde. Von den 2.571 Patienten der beiden ersten publizierten Anwendungsbeobachtungen (Freyberger et al, 1998; Grabe et al., 1999) gaben 84 Prozent an, unter Schlafstörungen zu leiden, so Volz. Systematisch untersucht wurden Insomnien in der dritten Anwendungsbeobachtung (Volz, Stoll et.al., Publikation in Vorbereitung). Der positive Einfluss von Opipramol auf die Reduzierung von Insomnie konnte deutlich gezeigt werden.

    Opipramol bessert die Schlafqualität

    Prof. Michael Hüppe, Lübeck, stellte die Ergebnisse einer neueren klinischen Doppelblindprüfung an 72 Patienten vor, die in der Nacht vor einer elektiven gynäkologischen Operation entweder Plazebo, 50mg oder 100mg Opipramol erhalten hatten (jeweils n=24). Dosisabhängig zeigte sich eine günstige Beeinflussung der
    Schlafqualität unter Opipramol. Die Patientinnen gaben an, unter Opipramol schneller eingeschlafen zu sein und nachts seltener aufgewacht zu sein. Auch berichteten sie, am Morgen weniger Angst gehabt zu haben, so Hüppe. Die Besserung der Schlafqualität erfolgte, ohne dass sich Hinweise auf eine substanzbedingte Sedierung im Sinne einer hang-over-Symptomatik ergaben.

    Klares Indikationsspektrum: Opipramol hat sich emanzipiert

    Die hohe Akzeptanz von Opipramol zeigt sich nicht zuletzt in den ab 1985 stetig ansteigenden Verordnungszahlen, erläuterte Dr. Klaus-Dieter Stoll, Nürnberg. Seit 1999 ist Opipramol das meist verordnete Psychopharmakon. Die Entwicklung begann zu einer Zeit, als man zunehmend das Abhängigkeitspotenzial der Benzodiazepine beachtete. Bemerkenswert ist, dass trotz der von klinischen Psychiatern und Pharmakologenan geäußerten pharmakologischer Zweifel, das Vertrauen in die Substanz bei den niedergelassenen Ärzten offenbar ungebrochen blieb. Die weitere Entwicklung Ende der Neunziger Jahre sollte ihnen Recht geben: Die neuen pharmakologischen Erkenntnisse und die klinischen Studiendaten zu Opipramol wurden wegweisend für die Neubewertung dieser Substanz. Heute ist Opipramol ein unverzichtbares Psychopharmakon mit einem fest umrissenen Indikationsspektrum.

    Quelle: Pressegespräch „Opipramol: Ein Klassiker mit innovativem Profil“, 18. Juli 2005, Pharmakologisches Institut, Biozentrum der Universität Frankfurt; Novartis

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