Do. Mai 16th, 2024

Mittel gegen Schizophrenie haben offenbar schwerere Nebenwirkungen als lange angenommen. In einem Fachartikel äußern Psychiater nun ihre Besorgnis. Wann tragen die Leitlinien den Risiken Rechnung?

Wenn Patienten mit einer Schizophrenie – sogar gegen ärztlichen Rat – nach rund einem Jahr ihre antipsychotischen Medikamente absetzen, nimmt ihre Erkrankung in den folgenden zwanzig Jahren – und damit ihr Leben – vermutlich einen deutlich besseren Verlauf, als wenn sie weiter die verordneten Neuroleptika erhalten. Das förderte eine der wichtigsten Langzeitbeobachtungen von Psychosekranken, die Chicago-Studie, im vergangenen Jahr zutage. Es sind solche und zahlreiche weitere Beobachtungen, die die jahrzehntelange Behandlungspraxis bei Schizophrenie mit Neuroleptika fragwürdig erscheinen lassen. Und es sind solche Studienergebnisse, die Psychiater wie Volkmar Aderhold von der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald und Stefan Weinmann vom Vivantes-Klinikum in Berlin-Kreuzberg dazu veranlassen, die hierzulande weitverbreitete Verschreibungspraxis zu kritisieren und dringend eine längst überfällige Neufassung der Behandlungsleitlinien zu fordern.

Immerhin gehen auch bei der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) die Bedenken inzwischen so weit, dass die wichtigste deutsche Fachvereinigung für Psychiater ein äußerst heikles und wenig geliebtes Thema unlängst auf ihrem Jahreskongress in Berlin ins Programm aufnahm: die sich immer mehr erhärtende Befürchtung, dass die auch als Antipsychotika bezeichneten Neuroleptika bei Menschen mit einer Schizophrenie zur Hirnatrophie, also zu einer Verminderung der Gehirnsubstanz, beitragen. Aderhold, Mitarbeiter am Institut für Sozialpsychiatrie an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität in Greifswald, hat dazu einen beunruhigenden Beitrag mit dem Titel „Frontale Hirnvolumenminderung durch Antipsychotika?“ für den „Nervenarzt“ geschrieben. Es gibt den Artikel online bereits seit dem Frühjahr 2014, abgedruckt hat ihn die Redaktion der Fachzeitschrift allerdings noch nicht (http://link.springer.com/article/10.1007%2Fs00115-014- 4027-5).

Die Sichtung der bisher zu dieser Frage veröffentlichten Fachliteratur lässt erkennen, dass Dauer und Dosis einer Antipsychotikatherapie mit einer erkennbaren Volumenminderung an Hirnsubstanz in Beziehung stehen. Zwar wurde immer wieder zur Entlastung der Medikamente angeführt, dass bereits eine schizophrene Erkrankung als solche mit einem gegenüber psychisch gesunden Vergleichspersonen verminderten Gehirnvolumen einhergehe. Aber das erklärt nicht alles, wie man inzwischen weiß: „Es gibt deutliche Hinweise, dass diese Substanzen einen eigenen volumenmindernden Effekt haben, vor allem im Bereich des Vorderhirns“, hält Aderhold fest. Diese Schlussfolgerungen gehen nicht zuletzt auf die Iowa Longitudinal Study zurück, deren Auswertung die psychiatrische Fachwelt im Jahr 2011 nachhaltig alarmierte. Seither sind etliche bestätigende Befunde hinzugekommen. Nicht nur die Tatsache, dass manche Patienten mit Verringerung der Dosis und Absetzen der Medikamente besser fahren als mit Fortführung der Therapie, gehört dazu. Es mehren sich überdies die Hinweise, dass mit der Hirnvolumenminderung offensichtlich kognitive Fähigkeiten verlorengehen: Die Betroffenen zeigen in entsprechenden Tests eine schlechtere Orientierung, Defizite bei verbalen Aufgaben, nachlassende Aufmerksamkeit und ein geringeres Abstraktionsvermögen. Erst vor kurzem haben die Finnen die Erkenntnisse aus der amerikanischen Iowa-Studie in einer Langzeitbeobachtung von neun Jahren bestätigt und zudem zeigen können, dass es einen Dosiseffekt gibt: Je höher die verabreichte Menge an Antipsychotika, desto gravierender die kognitiven Einbußen („Schizophrenia Research“, Bd. 158, S. 134).

Quelle: Faz

Von Sebastian

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