So. Dez 8th, 2024

    Sozialphobische Personen versuchen oft, wahrgenommene Bedrohung zu reduzieren und erwartete Katastrophen abzuwenden. Dieses Vermeidungsverhalten kann ebenfalls zur Aufrechterhaltung sozialer Ängste beitragen. Beispielhafte Verhaltensweisen sind das Bemühen, keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, Pausen im Redefluß zu vermeiden und bei Ängsten vor dem Zittern der Hände Gläser nur halb gefüllt zum Mund zu führen. Ein solches Sicherheits- und Vermeidungsverhalten kann Symptome unter Umständen sogar noch verstärken. So kann eine starke Anspannung der Handmuskulatur im Bestreben, das Glas besonders fest zu halten, um nicht zu zittern, zu einer Intensivierung des Zitterns führen. Eine genaue Beobachtung des eigenen Gedankenstromes und Auswahl dessen, was dann tatsächlich ausgesprochen werden soll, kann zu besonders langen Pausen führen und läßt weniger Kapazitäten frei, einer Konversation zu folgen. Die Person kann in der Folge unkonzentriert und zerstreut wirken.

    Wie entsprechende Studien zeigen konnten, verhindert derartiges Verhalten eine Überprüfung der irrationalen Befürchtungen an der Realität und läßt die Person zu der Überzeugung gelangen, ohne solches Verhalten der Katastrophe sicher ausgeliefert zu sein

    (Wells, Clark, Salkovskis, Ludgate, Hackmann & Gelder, 1995). Folglich wird die betreffende Person auf das Sicherheits- und Vermeidungsverhalten mit seinen negativen Konsequenzen nicht mehr verzichten (vgl. auch Abschnitt 1.1.5.6). Clark (1997, nach Stangier & Heidenreich, 1999) unterscheidet nach der Funktionalität verschiedene Sicherheitsstrategien.
    • Antizipatorisch: Übermäßige Vorbereitung auf eine Situation, um eine akzeptable Leistung zu zeigen oder Versuche zur Reduktion von Angst (z.B. durch Alkohol);
    • Versuche, das Auftreten von befürchteten Körpersymptomen zu verhindern (bei Angst vor Schwitzen, z.B. durch Kühlen);
    • Versuche, die befürchteten Symptome zu verstecken (bei Angst vor Erröten z.B. durch Tragen von Make-up);
    • Versuche zur Vorbeugung negativer Bewertung (z.B. Schwitzen durch Hitze zu entschuldigen);
    • Versuche, das eigene Verhalten oder die Wirkung auf andere zu kontrollieren (z.B. durch erhöhte Selbstaufmerksamkeit).

    Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß Aufmerksamkeitsprozesse eine wichtige Komponente im kognitiven Modell nach Clark und Wells (1995) darstellen. Diese Autoren betonen diese Prozesse in ihrer aufrechterhaltenden Funktion mehr als die anderen vorgestellten kognitiven Modelle zur sozialen Phobie (Beck, Emery & Greenberg, 1985; Heimberg, Juster, Hope & Mattia, 1995; Schlenker & Leary, 1982). Diese Modelle sind entweder umfassender in ihren Annahmen und beziehen auch Überlegungen zur Entstehung der Störung ausführlich mit ein (z.B.Heimberg et al., 1995), oder sie setzten einen anderen Schwerpunkt bei der Modellbildung, beispielsweise auf kognitiven Strukturen und kognitiven Produkten (z.B. Beck, Emery & Greenberg, 1985; Schlenker & Leary, 1982). Alle Modelle orientieren sich jedoch an der eingangs dargestellten Systematik kognitiver Faktoren (vgl. Abschnitt 1.2.1), und auch das psychobiologische Modell nach Trower und Gilbert (1989) postuliert kognitive Strukturen, die evolutionär entstanden sind und die entsprechende Prozesse und Produkte organisieren sollen. In der vorliegenden Arbeit interessieren vor allen Dingen kognitive Prozesse. Deshalb sollen zunächst relativ unabhängig von der theoretischen Modellbildung zur sozialen Phobie Befunde zu kognitiven Prozessen bei sozialer Phobie dargestellt werden. Für die Ableitung einer Fragestellung für das erste Experiment wird folgend die Befundlage zur selektiven Aufmerksamkeit bei sozialer Phobie erläutert und dann zur Ableitung der zweiten Fragestellung empirische Arbeiten zu Sorgen, Gedächtnis und Eindrucksbildung bei sozialer Phobie.

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