Fr. Apr 19th, 2024

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Wenn sie auf andere Menschen treffen, fängt ihr Herz an zu rasen und ihr Mund wird trocken: Sozialphobiker, also Menschen mit sozialer Angst. fudder-Redakteur Manuel Lorenz hat sich mit der Freiburger Stressforscherin und Psychologin Bernadette von Dawans darüber unterhalten, wo soziale Phobie anfängt und wie man sie therapiert. 

Frau von Dawans, wie viele Menschen in unserer Gesellschaft leiden an sozialer Phobie – also Angst vor Gesellschaft?

Bernadette von Dawans: Ungefähr 13 Prozent – Frauen etwas häufiger als Männer. Neben Alkoholabhängigkeit und Depressionen ist das die dritthäufigste Störung. Das Problem ist, dass sich viele Patienten erst sehr spät im Leben in Behandlung begeben. Die Angst vor neuen Kontakten ist halt nichts, was einen dazu bringt, eine Therapie aufzusuchen – einem fremden Menschen gegenüberzutreten und ihm von seinen Problemen zu erzählen.

Warum begeben sich manche dann doch in Therapie?

Zum Beispiel, weil ihr Partner oder Hausarzt sie dazu motiviert. Häufig gesellen sich aber zu den sozialen Ängsten nach und nach andere Störungen dazu: Depressionen und Alkoholabhängigkeit.
Oft werden Drogen wie Alkohol eingesetzt, um die Ängste zu regulieren. Auch das kann dazu führen, dass man beim Arzt, Psychiater oder Therapeuten vorstellig wird.

Wie steht es um Eigenbrötler und Misanthropen: Sind das automatisch auch Sozialphobiker?

Nein. Das gehört eher in den Bereich der Persönlichkeit. Die fühlen sich damit ja auch nicht unwohl. Sozialphobiker sagen ganz deutlich, dass sie eigentlich gerne mit Menschen umgehen können würden. Sie sehnen sich nach Bekanntschaften, Freundschaften, engen Beziehungen, Partnerschaft, haben aber eine Heidenangst davor – und die steht ihnen im Weg.

Und Schüchterne?

Schüchternheit kann ein Vorbote sozialer Angst sein. Sozialphobiker waren als Kind häufig schüchtern. Andersherum kann man diesen Schluss aber nicht ziehen: Nicht jeder, der als Kind schüchtern ist, muss zwangsläufig eine soziale Angst entwickeln.

Wo beginnt soziale Angst?

Dafür gibt’s ganz bestimmte Kriterien. Ob jemand Sozialphobiker ist, finden wir heraus, indem wir ein diagnostisches Interview mit ihm führen. Wir gucken uns an, wie viel Angst die Person vor Situationen hat wie: Ich muss anderen etwas präsentieren, andere Leute ansprechen, ich muss vor anderen essen oder schreiben. Das sind Sachen, die natürlich jeder als unangenehm empfinden kann. Bei Menschen mit sozialer Angst ist das aber deutlich ausgeprägter, und sie selbst erleben das als sehr belastend. Sie sind in ihrem Alltag eingeschränkt und versuchen, solche Situationen zu vermeiden, indem sie sich immer weiter zurückziehen und so etwas eben gar nicht mehr machen.

Können Sie noch ein paar typische Situationen nennen, die Menschen mit sozialer Angst meiden?

Überall, wo’s um Smalltalk geht. Partys und Empfänge sind was ganz Schreckliches, an den Schalter gehen und nach einem Zug fragen, ins Studierendensekretariat gehen, um noch mal nachzufragen, wie man sich für eine Prüfung anmeldet, im Supermarkt irgendetwas einkaufen zu müssen, was da nicht sichtbar herumliegt, was man aber dringend braucht. Ganz „einfache“, alltägliche soziale Begegnungen, bei denen man auf andere zugehen muss.

Wie umgehen Sozialphobiker so was?

Zum Beispiel, indem sie lange herumlaufen, sich ein Navi besorgen, mit dem sie sich durch die Stadt navigieren, bevor sie jemanden nach dem Weg fragen.

So gesehen muss technologischer Fortschritt für solche Menschen ein Segen sein – das Internet beziehungsweise Google beantwortet einem alle Fragen, die man hat, man braucht dazu keine sozialen Kontakte aufzubauen, und wenn, kann man sich dabei hinter einem Bildschirm und einer anderen Identität verstecken.

Für die Ängste ist das leider genau das Falsche. In der Therapie geht es darum, dass man genau diese Situationen, die einem Angst machen, aufsuchen muss, um herauszufinden: Okay, das ist unangenehm, aber es passiert nichts Schlimmes. Die Angst kommt zwar, aber sie verschwindet auch wieder.

Wie sieht so eine Therapie aus?

Zuerst versuchen wir herauszufinden, woher die Angst kommt. Oft gibt es in der Jugendzeit bestimmte Erlebnisse, die dazu geführt haben, von denen Patienten sagen können: Da fing das Ganze an. Situationen in der Schule zum Beispiel, wo man vor der Klasse bloßgestellt wurde.

Und: Wir schauen uns an, wie hoch das Stressniveau der Patienten ist, wie stark sie im Alltag belastet sind und ob sie Methoden haben, um mit Stress umzugehen. Da sind klassische Entspannungsverfahren wichtig, zum Beispiel progressive Muskelentspannung.

Was ist das?

Da ist das Prinzip, dass man ganz bewusst Muskeln anspannt, um sie dann wieder loszulassen und diesem Unterschied nachzuspüren und dadurch eine Entspannung überhaupt zulassen zu können. Das hilft beispielsweise, um vor Prüfungen das Stressniveau ein bisschen herunterzufahren und die Situation einfacher durchstehen zu können.

Und dann?

Dann setzen wir Patienten diesen Situationen aus und begleiten sie dabei – das nennt sich Exposition. Am Anfang sind wir immer dabei, dann ziehen wir uns langsam zurück, damit die Patienten immer mehr selbst machen können und lernen: Ich kann das.

Worum geht es Ihnen in Ihrer Forschung?

Wir wollen herausfinden, wie sich Stress bei Patienten mit sozialen Ängsten auswirkt. Wie viel Cortisol wird ausgeschüttet? Was macht das Herz in dieser Zeit? Wie schnell kommen die Patienten aus dieser Situation wieder heraus? Wie beeinflusst der Stress das Sozialverhalten?

Wie misst man das?

Das Cortisol im Speichel mit kleinen Watteröllchen, die man kauen muss. Die Herzrate messen wir mit einer typischen Sportleruhr, auf der wir ablesen können, was der Puls macht, wann er wie stark steigt und wie schnell er wieder herunterkommt.

Welchem praktischen Zweck dient Ihre Forschung?

Herauszufinden, wie wir die Therapie für Menschen mit sozialen Ängsten verbessern können.

Von Sebastian

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