Fr.. Dez. 27th, 2024

    Bei dem Gedanken, daß ein US-amerikanischer Präsident in all seiner Machtfülle geisteskrank sein kann, läuft es einem kalt den Rücken herunter. Die kürzlich erschienene Studie dreier amerikanischer Psychiater trägt nicht zur Beruhigung bei: Die Hälfte der US-Präsidenten zwischen 1789 und 1974 haben danach im Laufe ihres Lebens unter psychischen Erkrankungen gelitten, bei zehn der Staatsmänner waren Symptome während der Amtszeit evident.

    Der Psychiater Jonathan R. T. Davidson von der Duke University in North Carolina, aus dessen Feder einige von Schriften zum Posttraumatischen Streß-Syndrom stammen, hat mit zwei Kollegen die Biographien der US-Präsidenten von George Washington bis Richard Nixon auf Symptome psychischer Affektionen hin untersucht. Die entdeckten Befunde hat er dann gemäß eines modernen Diagnoseschlüssels klassifiziert (Journal of Nervous and Mental Disease 194, 2006, 47).

    Depressionen waren am häufigsten

    18 der 36 Staatsmänner zeigten nach dieser Studie deutliche Anzeichen einer – oft vorübergehenden – Geisteskrankheit. Am häufigsten waren Depressionen, unter denen neun Präsidenten litten, gefolgt von Angstzuständen (drei Patienten) und Alkoholmißbrauch, der ebenfalls bei drei Präsidenten auftrat.

    Gerade die Suchtkrankheit war kausal eng mit Streß und Trauerarbeit verbunden: So trank Richard Nixon (Präsident von 1969 bis 1974) vor allem wegen der ihm nervlich zusetzenden und auf seine Amtsenthebung hinauslaufende Watergate-Affäre. Franklin Pierce (von 1853 bis 1857 im Amt) hingegen war durch einen grausigen Schicksalsschlag kurz vor seiner Amtseinführung ein gebrochener Mann: Sein kleiner Sohn war vor seinen Augen bei einem Eisenbahnunglück geköpft worden.

    Symptome hatten nichts mit der Amtsbürde zu tun

    Bei zehn Präsidenten wurden psychopathologische Symptome während der Amtszeit manifest. Im letzten halben Jahrhundert waren außer Nixon auch Dwight D. Eisenhower (Präsident von 1953 bis 1961, schwere Depressionen) und der vom Vietnamkrieg zermürbte Lyndon B. Johnson (von 1963 bis 1969 im Amt, Bipolare Störung) auffällig.

    Für die naheliegende Vermutung, daß die Prävalenz von Symptomen mit der Zunahme der Amtsbürde und der Verantwortung im Zuge von Amerikas Aufstieg zur Weltmacht angestiegen sei, fand Davidson keine Belege. Bereits drei der Gründerväter waren auffällig (wobei Nichtpsychiater streiten mögen, ob die vermeintliche „soziale Phobie“ von Thomas Jefferson Krankheitswert hatte), und den neun Präsidenten des 20. Jahrhunderts auf Davidsons Patientenliste stehen neun Regierungschefs des 19. Jahrhunderts gegenüber.

    Zurückhaltung üben die Autoren bei der Beantwortung der Frage, ob eventuelle psychische Störungen einen nachhaltigen Einfluß auf die Amtszeit und damit auf den Verlauf der US-Geschichte ausgeübt haben. Historiker sehen in der Alkoholkrankheit von Ulysses S. Grant (Präsident von 1869 bis 1877) eine mögliche Ursache für die Skandalanfälligkeit seiner Administration.

    William Taft (von 1909 bis 1913 Präsident) kompensierte den Streß des Amtes mit unmäßiger Nahrungsaufnahme und hatte durch sein massives Übergewicht ein Schlaf-Apnoe-Syndrom, das ihn bei Amtshandlungen schläfrig und unkonzentriert wirken ließ.

    Die Krankengeschichte seines Nachfolgers war viel gravierender, ging aber über eine psychiatrische Problematik weit hinaus: Woodrow Wilson (Präsident von 1913 bis 1921) war nach einem Schlaganfall die letzten eineinhalb Jahre seiner Amtszeit praktisch nicht mehr regierungsfähig, was der Bevölkerung verheimlicht wurde. An Depressionen und Angstzuständen litt der Präsident jedoch schon vor seiner Wahl.

    Die Bewertung Davidsons, daß „durch eine Geisteskrankheit eines Präsidenten keine nationalen Katastrophen ausgelöst wurden“, ist im Falle Wilsons nicht überzeugend: Das Land war während der wichtigen Phase der Nachkriegszeit in den Jahren 1919/20 außenpolitisch führungslos.

    Die Studie hat Schwachstellen

    Die Studie hat verschiedene potentielle Schwachstellen. So sind nicht alle verfügbaren Primär- (zum Beispiel die persönlichen Papiere der Präsidenten) und Sekundärquellen (wie Biographien) untersucht worden; dezente Symptome einer psychischen Alteration können den Chronisten verborgen geblieben sein.

    Angesichts der biographisch-historischen Natur der Analyse überrascht auch, daß die drei Verfasser, allesamt Psychiater, sich in der Geschichte ihres Landes als wenig sattelfest erweisen. Sie sprechen von 37 Präsidenten in der Zeit von der Staatsgründung bis 1974 – in Wirklichkeit waren es 36 Individuen.

    Daß Grover Cleveland als 22. und 24. Präsident die Zählweise durcheinander bringt, ist den Ärzten entgangen – vielleicht auch deshalb, weil der Demokrat (von 1885 bis 1889 und von 1893 bis 1897 im Amt) von allseits respektiertem „Common Sense“ war und psychiatrisch unauffällig. Vielleicht ziert er auch deshalb den 1000-Dollar-Schein.

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