Di. Jul 16th, 2024

    Das hier beschriebene, aus drei „Bausteinen“ bestehende Selbsthilfekonzept ist das Ergebnis der Auseinandersetzung mit der eigenen Angst als Betroffener, aus der Arbeit in der Selbsthilfegruppe und aus Diskussionen in Internet-Foren und Netzwerken. Zu diesem Artikel haben demnach viele Betroffene durch Gespräche und Austausch indirekt beigetragen – auf der Suche nach Lösungswegen im Umgang mit der eigenen Angst.

    Die meisten Menschen mit einer ausgeprägten Sozialen Phobie empfinden diese als eine hohe Belastung und wünschen sich verständlicherweise vorrangig eine Minderung ihrer Ängste. Viele konzentrieren sich primär darauf, die Situationen in ihrem Leben, die Angst, Kritik, Beschämung oder Abwertung auslösen, entweder zu vermeiden (mit der Folge von sozialem Rückzug) oder sie zu kontrollieren (z.B. durch Überangepaßtheit, starken Leistungsdruck bis zur Überforderung). Dies gelingt einigen zwar mit einer mehr oder minder großen Daueranstrengung, doch viele erschöpfen und isolieren sich hierdurch.
    Statt ständig gegen die Angst anzutreten und darin erhebliche eigene Kräfte zu binden, kann ein alternatives, neues Ziel angesteuert werden:
    Ein eigenständiger, nicht primär angstfokussierter Regisseur seines Lebens zu sein, sich Aufgaben und Zielen zu widmen, die sinnvoll und auch motivierend erscheinen. Wieder Freude und auch Stolz empfinden wollen, trotz, neben und mit den bestehenden Ängsten.
    Es ist klar, dass dies zunächst schwer fallen kann, denn es sind ja genau diese Ängste, die zu Rückzug und Vermeidungsstrategien geführt haben und die alles so schwer und demotivierend erscheinen lassen. Ein Anfang kann möglich sein, sobald der/die Betroffene sich in einem angstarmen Moment wieder Gedanken, Wünsche und Konzepte in Richtung
    einer selbstbestimmten Lebensgestaltung „erlaubt“. Bisweilen sind die stille Kapitulation und das Eingeständnis, mit den bisherigen Vermeidungskonzepten gescheitert
    zu sein, die Startbasis hierzu.

    Im Folgenden möchte ich drei meiner Erfahrung nach hilfreiche „Bausteine“ beschreiben, die Betroffene im Sinne der Selbsthilfe für sich selbst und in der Selbsthilfegruppe gemeinsam mit anderen anwenden können:

    Baustein A – Selbstannahme
    Selbstannahme bedeutet in diesem Zusammenhang das Bemühen, die eigenen Gefühle – vorrangig Angst, aber auch Wut, Trauer und Schmerz – nicht weiter abzulehnen und zu bekämpfen, sondern sie zu akzeptieren und sich mit ihnen anzunehmen. Dabei geht es auch darum, sich für die eigene Verletzlichkeit zu öffnen.
    Auf dem Weg zu dieser Selbstannahme kommt der Betroffene wieder in Kontakt mit Wünschen und Bedürfnissen, die wirklich aus seiner eigenen Tiefe kommen und die sich nicht auf Selbstablehnung, Angstkontrolle/-vermeidung und Rollenperfektionismus aufbauen.

    Wenn Betroffene auf die Frage: „Was macht mir Freude?“ weder eine Antwort noch eine Phantasie haben, dann kann dies ein Hinweis auf einen verstellten Zugang zu den eigenen tieferen Gefühlen sein.

    Der Schritt zur Selbstannahme kostet Kraft und Mut, aber er setzt auch neue Energien frei, nämlich diejenigen, die zur Unterdrückung und Verneinung der Gefühle gebunden waren. Die Annahme schwieriger Emotionen eröffnet zudem einen neuen Zugang zu positiven Gefühlen
    wie Freude, Begeisterung, Lust, aber auch Sinnhaftigkeit.
    Denn es ist nicht möglich, einen Teil der eigenen Gefühle wegzusperren und dennoch in Kontakt mit der eigenen, inneren Lebendigkeit zu bleiben.
    Durch die Selbstannahme löst sich die Spannung, die aus dem Kampf gegen eigene Gefühle und damit gegen einen Teil von sich selbst resultiert. Das Annehmen erlaubt den Gefühlen zu fließen und bringt damit insgesamt die eigene Lebensenergie wieder in Fluss.
    Allerdings gelingt es nicht per Beschluss, die eigene Angst anzunehmen – vielmehr kann es sich dabei nur um ein stetes Bemühen handeln. Und dies fällt erfahrungsgemäß gerade in
    belastenden Situationen schwer.
    Es fordert, aber es fördert auch die Bereitschaft zu einem respekt- und liebevollen, menschlichen Umgang mit sich selbst und setzt den Mut voraus, dasjenige, was als ganz besonders minderwertig und beschämend empfunden wird – eben die eigene Unsicherheit sowie die realen eigenen Grenzen – zunächst als gegeben zu akzeptieren. Dieser Schritt verlangt Aufrichtigkeit und er funktioniert nicht als simple „Strategie“, um die Angst weniger zu spüren. Das Bemühen um eine Akzeptanz der Angst schließt ebenfalls die Bereitschaft mit ein, sich der eigenen Angst in belasteten Situationen zu stellen, sich von ihr begleitet zu sehen.
    Die Annahme der Gefühle führt zur eigenen inneren Realität, verbindet den/die Betroffene/n wieder mit seinem emotionalen Potential und ist hierdurch ein wesentlicher und notwendiger
    Baustein zur Herausbildung von Eigenständigkeit und Eigenverantwortung.

    Wie kann die Selbsthilfegruppe das Bemühen um eine Selbstannahme fördern?

    Um den Aspekt der Selbstannahme in der Gruppe zu fördern, ist es Voraussetzung, dass unter den Mitgliedern ein Grund-Konsens herrscht, sich gegenseitig mit Solidarität, Akzeptanz und Wertschätzung zu begegnen.
    Verstellt ist dies, wenn sich die Gruppe quasi kollektiv darauf verständigt hat, dass alle Beteiligten aufgrund ihrer sozialen Angst „falsch“, schwach und minderwertig sind.

    In einer positiven Atmosphäre können sich die Betroffenen hingegen schrittweise dazu ermutigt sehen, die eigenen Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse wieder zu spüren und zu äußern.

    Die einzelnen Mitglieder werden durch die Gruppe darin unterstützt, nach und nach in ihren Kontroll-Anstrengungen und kritisch-negativen Selbstbewertungen nachzulassen.
    Die GruppenteilnehmerInnen können sich durch Rückmeldungen gegenseitig ermutigen, übersteigert-perfektionistische und somit gnadenlose Selbstbildstrukturen schrittweise abzubauen. Stattdessen nehmen Selbstachtung, Mitgefühl und Achtung vor dem Anderen und dem Anderssein des Anderen als Mitmensch mehr Bedeutung ein.
    Die Anlässe, weswegen sich der Betroffene besonders abwertet (unsicheres Verhalten, Ängstlichkeit, Schüchternheit, Verletzlichkeit, mangelndes Durchsetzungsvermögen), können in einem solchen Kreis weitgehend akzeptiert und sogar wohlwollend bewertet werden.

    Berichtet beispielsweise ein Gruppenmitglied, dass es ihm/ihr gelungen ist, nach längerer Zeit wieder eine Feier zu besuchen und dort ein Glas ohne sichtbares (Angst-)Zittern zu halten, so ist diese Freude für alle nachvollziehbar. Dennoch kann es seitens der Rückmeldungen aus der Gruppe wichtig sein, den Fokus und die Anerkennung nicht auf die zitterfreie Hand zu richten, sondern auf den Mut, überhaupt unter Menschen gegangen zu sein – auch mit der eigenen Unsicherheit, denn:
    Im Vordergrund steht nicht der Kampf gegen die eigenen Angststrukturen, sondern der Zugewinn an „Menschlichkeit“, das heißt: Sich auch mit Unsicherheit und Angst unter Menschen zu trauen.

    Die Gruppe ist somit ein geeigneter Raum, um einen offeneren Umgang mit der Angst zu erleben und zu erlernen. Gelingt dies, entsteht ein real-positives, nicht von Ablehnungsvorstellungen durchdrungenes Bild vom Mitmenschen.

    Aus Unsicherheit sprechen viele Betroffene über ihre Probleme ironisch und nehmen sich selbst nicht ernst. Den Gruppenmitgliedern ist diese Unsicherheit meist bestens bekannt. Es bietet sich hier die Chance, einen anderen Umgang mit sich einzuüben und sich nicht vor anderen über sich selbst lustig zu machen und dadurch abzuwerten.

    Das Annehmen und Äußern der eigenen Gefühle in der Selbsthilfegruppe ist jedoch nicht als gegenseitiges „Zujammern“ zu verstehen. Denn ständiges Jammern bedeutet nicht Annahme, sondern Ablehnung der eigenen Betroffenheit. Wirkliche Annahme der eigenen Gefühle führt zu einem inneren Wachstumsprozess und ist lösungs- statt problemorientiert.

    Baustein B – Handeln und Gestalten unter Menschen
    Mit jedem einzelnen Fortschritt in der Annahme der eigenen Angst wächst die Fähigkeit, dort, wo Angst und Vermeidung bis dahin jedes eigene, aktive Gestalten blockiert haben, sich zunächst in Gedanken, dann aber versuchsweise mit kleinen oder mit großen Schritten wieder auf den Weg zu machen.
    Es sollte spürbar auch der eigene freie Entschluss sein, nicht nur der Druck eines „ich muss“. Hilfreich ist sicher, wenn die Stimme der Vernunft einem „ich kann nicht“ mit einem „ich sollte es versuchen“ entgegenwirkt. Die Motivation des „ich möchte und ich will“ wird am meisten Kraft geben.

    Die angstbedingten inneren Widerstände werden dennoch begleiten, auch belasten. Die Annahme der Angst bedeutet nicht: Die Angst ist plötzlich weg.
    Besteht die Motivation zum „Üben und Konfrontieren“ vorrangig in der Leistungserbringung und Angstüberwindung, der Kontrolle von Gefühlen des Minderwerts, der Ablehnung und Beschämung, so besteht die Gefahr, sich weiterhin von den eigenen lebendigen, kreativen Impulsen abzutrennen.
    Hingegen ist ein aktives Handeln, das von einer Motivation der Freude und des Interesses getragen ist, sinn- und identitätsgebend und liefert die Kraft, die immer wieder anstrengende Auseinandersetzung mit der Angst längerfristig auf sich zu nehmen.

    Hierzu ein Beispiel: Zwei Menschen mit Sozialer Phobie besuchen einen Vortrag. Beide werden vorher und in der Situation selbst Angst verspüren. Der eine geht vorrangig mit dem Ziel hin, sich und anderen zu beweisen, dass er so etwas schafft, und um seine Isolation zu durchbrechen.
    Der andere besucht den Vortrag hingegen vor allem deshalb, weil ihn das Thema anspricht und er gerne mehr darüber erfahren möchte.
    Läuft es für beide Betroffene „gut“, so mag sich der erste entlastet und stolz fühlen, sein Ziel geschafft zu haben. Das ist zwar wichtig, kann aber auch bedeuten, dass er sich künftig bei einer ähnlichen Situation wieder vor denselben Kampf gegen die Angst gestellt sieht. Er wird sich dann erneut zu beweisen haben. Der Blick auf die Angstseite macht ihn für eine nachfolgende „Niederlage“ anfällig.
    Der andere dagegen erlebt neben der Angst auch Freude und Einlass auf eine neue Thematik – außerhalb seiner Angst. Dies bringt einen Zugewinn an Lebensfreude mit sich, der nicht immer wieder von Neuem bestätigt werden muss.
    Aktives Handeln bedeutet Erleben und Gestalten – und bringt reales Miteinander, Kontakt und Begegnung. Ohne Handeln nehme ich den eigenen Platz nicht ein – weder im Beruf, noch im sozialen Umfeld. Über das aktive Handeln übernehme ich auch Verantwortung für mich und gewinne an Eigenständigkeit: die eigene Kompetenz wächst. Durch das Mitwirken an gemeinsamen Projekten mit anderen bekomme ich von den anderen eine Rückmeldung, übernehme Aufgaben und spüre Solidarität und „Wert“ als Mitmensch.
    Das Erleben von realem Erfolg und Misserfolg führt immer wieder zur Realität. Das bedeutet, mit gelungenen und nicht gelungenen Situationen klar zu kommen. Es bedeutet weiterhin, sich realistischen Erwartungen und eigenen Grenzen zu stellen. Überzogene Ansprüche an sich selbst werden korrigiert – das eigene Scheitern auszuhalten, gehört in diesem Sinne zum Erfolg.
    Handeln und Gestalten gibt die Möglichkeit, für seine Grundbedürfnisse aktiv und selbst zu sorgen, was eigenständiger und weniger abhängig macht.

    Inwiefern kann aktives Handeln und Gestalten in der Selbsthilfegruppe geübt werden?

    In einer guten Selbsthilfegruppe kann ich mich auf vielfältige Weise ausprobieren und neue Erfahrungen machen.
    Die Gruppe kann ein Ort der Herausforderung sein, an dem ich meine Grenzen spüren und auch erweitern kann, und der mich mit meinen Vermeidungen und Vorbehalten konfrontiert.
    Beispiele für Handeln und Übungsmöglichkeiten in der Gruppe: durch das „Outing“ selbst, von Unsicherheit und sozialen Ängsten betroffen zu sein, durch den Mut, im Kreis zu reden und die Aufmerksamkeit anderer auf sich gerichtet zu sehen, durch eine zunehmend aktivere Teilnahme, durch die Übernahme von Mitverantwortung und Aufgaben (wie z.B. die Moderation) etc.
    Ich übe und erweitere meine sozialen Fähigkeiten, indem mich die Gruppensituation
    abwechselnd z.B. zu Offenheit, Toleranz, Rücksichtnahme, Resistenz, Einlass, Platzeinnahme und Platzbehauptung, Umgang mit Kritik, Abgrenzung und Provokation auffordert.
    Ich darf Fehler machen und bekomme Rückmeldungen. Und ich kann nach Feedback fragen – oder auch in anderen Situationen ausdrücklich darauf verzichten, wenn ich spüre, dass es mir gut tut, mich auf mein eigenes Empfinden zu verlassen.
    Das Üben bezieht auch die Woche zwischen den Gruppentreffen mit ein, wenn es nämlich darum geht, positive Erlebnisse aus der Gruppe nicht nachträglich durch Grübelei und Wieder-in-Frage-Stellen zu entwerten.
    Generell geht es darum, dass die Gruppe bei aller Offenheit für soziale Ängste stets ihre Aufmerksamkeit auf die Aktivierung von Lebensfreude sowie auf die gelungene soziale Einbindung legt.

    Hilfreich ist es vor allem, wenn ich in der Gruppe neue Rollen ausprobieren kann. Bin ich es z.B. gewohnt, stark auf Leistung zu setzen, kann ich versuchen, dieses Verhalten aufzugeben. Bin ich dagegen normalerweise still im Hintergrund, kann ich mich bemühen, Leitungsaufgaben zu übernehmen (z.B. die Gruppenmoderation an einem Abend). Ist meine übliche Rolle die des Helfers, gehe ich auch in die Rolle des Hilfe-Annehmenden, und umgekehrt. Ich kann emotionale Impulse wagen und neue Seiten von mir ausprobieren. Wichtig finde ich insbesondere, dass sich die Zusammensetzung der Gruppe durch neue TeilnehmerInnen auch immer wieder verändert und ich aufgefordert bin, meinen Platz stetig neu in der Gemeinschaft einzunehmen. Dabei ist in Kauf zu nehmen, dass mich dies auch mit meiner Unsicherheit in Berührung bringen kann.


    Baustein C – Bedingungsfreies Wohlfühlen

    Es entspricht meiner Erfahrung, dass ein Teil der Betroffenen trotz der Bereitschaft, sich mit den eigenen Gefühlen anzunehmen und trotz mutigen „Gestaltens und Handelns“ nur begrenzt Fortschritte empfindet.
    Diese SozialphobikerInnen beschreiben oft das Fortbestehen einer inneren Daueranspannung und einer ausgeprägt ängstlichen Grundstimmung. Die auf der Handlungsebene errungenen Erfolge bleiben zwar als Zugewinn erhalten, jedes in Beziehung treten mit anderen Menschen wird aber weiterhin als sehr anstrengend und beschwerlich erlebt – ein steter ängstlicher Neuangang.

    Wenn das aktive Handeln und Gestalten auch Erfolg zeigen mag, werden hierbei unvermeidbar tief liegende „alte“ Ängste und existenzielle Verunsicherungen berührt. Frühe traumatische Erlebnisse und Defizite können weiterhin aktiviert und in der Gegenwart wirksam bleiben, so dass sich in der Tiefe keine neue Stabilität ausbildet. Der/die Betroffene fühlt sich trotz aller realen Erfolge weiterhin existenziell stark verunsichert.
    Deshalb kann es hilfreich sein, als dritten, gleichwertigen Baustein das „bedingungsfreie Wohlfühlen“ hinzuzufügen.
    Wohlfühlen bedeutet in diesem Kontext, mit sich selbst in Einklang zu sein. Bedingungsfreies Wohlfühlen ist unabhängig von einer Vorleistung, Anstrengung, Erfolg oder Anerkennung. Ein solches Wohlbefinden begünstigt ein Selbst-Geborgenheitsgefühl und fördert den Zugang zu einem tiefen inneren Ruhepunkt, an dem ein „inneres Ja“ zu sich und der Welt empfunden werden kann. Dieses Gefühl wirkt auf seine Weise existentiell selbstheilend, stabilisierend und kräftigend.
    Vielen Betroffenen fehlt jedoch gerade das Erleben, selbstverständlich und gelassen in der Welt zu sein – ohne sich selbst ständig zu hinterfragen, sich mit anderen zu vergleichen und abzuwerten. Es fehlt ihnen das Erleben von Wohlbefinden in sich und in der Welt, das daraus
    entsteht, in sich selbst zu Hause zu sein und von dort in die Welt hinaus zu schauen – anstatt sich wie von außen ängstlich-kontrollierend zu beobachten.
    Tatsächlich haben viele Betroffene eine Blockade, sich ein Wohlfühlen zu erlauben. Sie sind in der Frage gefangen, ob sie es überhaupt verdient haben. Zugleich bedeutet Wohlfühlen aber auch das Ablegen von Abwehr- und Schutzmauern und stattdessen ein Sich-Öffnen und Sich-Einlassen. Der/die Betroffene kommt dabei wieder mit den eigenen Gefühlen in Kontakt, und dies kann zunächst auch Ängste auslösen, die den Zugang zum eigenen Wohlbefinden vorübergehend erschweren.

    Wohlfühlen bedeutet aber kein neues „Kopf“-Programm: „Ich muss mich wohlfühlen, dann geht die Angst weg“, sondern bedingungsfreies Wohlfühlen dient keinem weiteren Zweck – außer, dass es sich gut anfühlt. Es ist nicht zu erzwingen oder festzuhalten.
    Wichtig ist beim Aufsuchen dieses ruhigen inneren Ortes auch, dass dies natürlich nicht der Legitimation von Isolations- und Rückzugstendenzen dienen darf. Es geht vielmehr um ein Wohlbefinden mit mir und in mir – gerade auch unter Menschen.

    Wohlfühlen auslösen können ganz einfache Dinge. Wichtig ist erstmal, wieder wahrzunehmen, wie es ist, sich wohl zu fühlen. Und auf dieses Gefühl achtsam zu sein, wenn es sich einstellt.
    Vielleicht liegt der entscheidende Schritt auch darin, sich sanft neuen Vorstellungen und Gedanken zu öffnen: „Ich brauche nichts zu leisten, um mich wohl zu fühlen; ich habe es verdient, und ich kann es schrittweise wieder lernen und zulassen. Es ist nicht gefährlich für mich, es darf sein. Ich halte es aus, mein Angespanntsein und meine innere Unruhe dabei auch zunächst zu spüren.“
    Eigentlich hat jede/r Betroffene seinen ganz persönlichen Zugang zum Wohlfühlen, dieser ist allerdings oft verstellt – vor allem, wenn durch Stresssituationen die Aufmerksamkeit einseitig auf die Angst gerichtet ist.

    Wie kann ich bedingungsloses Wohlfühlen in der Selbsthilfegruppe erleben?

    Das Erleben und die Erfahrung, dass es sich wieder gut anfühlen kann unter Menschen, war und ist mir persönlich der wichtigste Erfahrungsschritt innerhalb der Selbsthilfegruppe – und vielleicht ist er auch der schwierigste:
    Dass ich einfach SEIN kann unter Menschen und mich (schrittweise) sogar wieder wohlfühlen kann, auch ohne etwas dafür leisten zu müssen.

    Klar ist, dass sich dieses Wohlbefinden nicht auf Knopfdruck abrufen lässt, es kann sich aber wiederholt einstellen und führt „wie von selbst“ zu dem Empfinden, dass ICH in Ordnung bin und DU es auch bist. Dieses Wohlbefinden lässt mich spüren, dass es sich lohnt, die auch anstrengende Auseinandersetzung mit der Angst auf mich zu nehmen. Es sagt mir auch, dass ich mich wohlfühlen kann/darf – und zwar „einfach so“. Dass ich zum Wohlfühlen weder besondere Aufmerksamkeit, noch besonderes Lob oder Bestätigung benötige, sind fundamental wertvolle Erkenntnisse.
    Genau genommen habe ich sogar über mein Wohlfühlen gelernt, dass es sich bevorzugt dann einstellt, wenn ich nicht nach Lob und Anerkennung gesucht habe, sondern wenn ich mich „gelassen“ habe, wenn ich einfach Teilnehmer war.

    Der Impuls, mich in der Selbsthilfegruppe wohl zu fühlen, ist weder von innen noch von außen zu erzwingen oder direkt zu fördern. Aber es gibt sicher Faktoren im „Klima“ und in der Struktur einer Gruppe, die es leichter machen, auch zu diesem dritten „Baustein“ zu gelangen.
    Für mich persönlich ist hierbei hilfreich:
    Ein Erleben von Freiheit, Kreativität, hinreichender Sicherheit, Gelassenheit, Solidarität, Akzeptanz, eine (nicht überfordernde) Lebendigkeit im Kreis, Lachen, gute Nähe (Freiheit und Zugehörigkeit) und gute Distanz, Freundschaftlichkeit, nicht „müssen“, sondern „wollen“
    und im eigenen Tempo „versuchen können“ sowie Achtsamkeit.

    Zusammenfassung:

    Bei dem Konzept der drei „Bausteine“ geht es um die hilfreiche, zugleich aber auch Mut erfordernde Integration von drei Entwicklungszielen:
    1. Die Annahme eigener Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse führt zu mehr Lebendigkeit, Menschlichkeit, Lebensfreude und emotionaler Autonomie.
    2. Aktives Handeln und Gestalten bringt mehr Eigenkompetenz, Kreativität und zwischenmenschliches Miteinander.
    3. Bedingungsfreies Wohlfühlen führt zu einem Zugewinn an innerer tiefer Ruhe und Stabilität.

    Meiner Meinung nach ist gleichviel Aufmerksamkeit auf alle drei Bereiche zu verwenden. Die persönliche Erfahrung zeigt außerdem, dass die einzelnen „Bausteine“ niemals endgültig abschließbar sind. Ein gefestigter Zugewinn stellt sich jeweils dann ein, wenn man sich längerfristig und immer wieder mutig und geduldig diesen Herausforderungen stellt.
    Wie nachhaltig Ängste den einzelnen Betroffenen längerfristig noch begleiten, ist individuell sehr unterschiedlich. Der Zugewinn an Lebensqualität und Eigen-Regie entzieht den Ängsten
    zunehmend an Bedeutung und innerer Aufmerksamkeit, was Freiheit und Raum für soziales Miteinander schafft.

    Die Übernahme von Mitverantwortung für die gemeinsame Weiterentwicklung in der Selbsthilfegruppe kann als „sinngebend“ und bereichernd erlebt werden und wohltuend über das enge, angstbedingte Kreisen um sich selbst hinausführen.

    Dieser Beitrag ist erschienen in der Deutschen Angst-Zeitschrift Ausgabe 45.

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