Ein Forscherteam hat Medikamente gegen Depressionen unter die Lupe genommen. Das verblüffende Ergebnis: Viele Antidepressiva haben eine bislang unbekannte Eigenschaft.
Wissenschaftler haben einen neuen Ansatz zur Behandlung von Depressionen entdeckt: Eine Begleitwirkung vieler gängiger Antidepressiva könnte eine der Hauptwirkungen sein. Viele gängige Medikamente gegen Depressionen mindern ganz nebenbei auch den Gehalt des fettähnlichen Stoffes Ceramid in Nervenzellen, wie das Team unter Leitung deutscher Mediziner beobachtet hat. „Doch genau dieser Effekt scheint in Wirklichkeit eine zentrale Rolle zu spielen, um wieder in eine positive Stimmung zu kommen“, sagte einer der beiden Hauptautoren der siebenjährigen Studie, Johannes Kornhuber von der Universität Erlangen-Nürnberg.
Wie die Wissenschaftler bei Mäusen herausfanden, hemmt Ceramid die Bildung neuer Nervenzellen in einem besonderen Bereich des Gehirns, dem Hippocampus – eine bislang völlig unbeachtete Wirkung. Werde Ceramid reduziert, könnten sich neue Nervenzellen bilden und die Stimmung verbessere sich wieder. Lassen sich die Aussagen bestätigen, hätten die Forscher zugleich eine neue Ursache der Krankheit entdeckt. „Unsere Annahme ist, dass es bei Depressionen zu viel Ceramid gibt“, sagte Kornhuber, der die Abteilung Psychiatrie am Universitätsklinikum Erlangen leitet. Auch Stress könne die Neubildung von Nervenzellen verhindern.
Therapie soll auf Menschen übertragen werden
Bislang sei man davon ausgegangen, dass in erster Linie eine reduzierte Signalübertragung im Gehirn Depressionen auslöse, erläuterte Kornhuber. Die stimmungsaufhellende Wirkung der bekannten Medikamente wurde deshalb sogenannten Botenstoffen zugeschrieben, die diese Blockade lösen. „Botenstoffe wirken aber schnell; eine Verbesserung müsste somit innerhalb weniger Stunden einsetzen“, erklärte Kornhuber. Tatsächlich wirkten Antidepressiva aber erst nach mehreren Wochen. „Das war schon ein Hinweis auf weitere Wirkmechanismen.“
Die bislang im Tierversuch erprobte Therapie soll in einem nächsten Schritt auf Menschen übertragen werden. „Wir sind da sehr zuversichtlich“, sagte Kornhuber. Bei neuen Medikamenten könne die Begleitwirkung nun zur Hauptwirkung gemacht werden. Bis ein neues Mittel genehmigt werde, vergingen allerdings mehrere Jahre.
Ihre Studie haben die Forscher unter Leitung von Kornhuber und Erich Gulbins von der Universität Duisburg-Essen im Fachblatt „Nature Medicine“ vom Juni veröffentlicht.